Ein Stückchen Kanada trage ich am Hals. Es ist eine dieser winzigen Münzen, die den Verkehrsbetrieben von Toronto als Fahrscheine dienen. Diese Münzen werden Token genannt. Ein Token berechtigt für eine Fahrt mit Bus und Bahn. Man wirft ihn in eine Sparbüchse, die der U-Bahn-Haltestellen-Wart vor seinem Glaskasten stehen hat. Hört er es scheppern, dann darf man passieren. Auch der Busfahrer hat eine solche Büchse. Einsteigen darf nur, wer einwirft.

So funktioniert der Nahverkehr in einer der größten, buntesten und lebhaftesten Städte Nordamerikas – auf eine seltsam altmodische, scheppernde, schrankenwärterhafte Weise. Mit zahllosen Tokens fuhr ich in den letzten acht Monaten in Toronto hin und her. Meist mit der U-Bahn Linie zwei, die Osten und Westen der Stadt verbindet. Toronto liegt am See, dementsprechend findet das Wichtigste längs dieser Linie statt. Runterwärts ist Wasser, hochwärts kommt bald das Hinterland. Toronto hat nur zwei wichtige U-Bahn-Trassen, die reichen völlig.

Meine acht Monate als Gast-Journalistin an der Universität Toronto sind absolviert. Ab sofort berichte ich wieder aus Sachsen. Das war eine aufregende Zeit voller Entdeckungen und Geschichten in einem spannenden Land. In vielen Texten habe ich Deutschland den Kanadiern erklärt – und Kanada den Deutschen. Ich habe eine Menge über Marihuana erfahren, das in Kanada seit letztem Oktober legal ist, worüber ich immer wieder schrieb. Ich habe ein Indianer-Reservat am Ontariosee besucht, wo sie süßes Gebäck und Gummitiere aus Cannabis herstellen und damit endlich Geld für ihre Dörfer verdienen.

Aber das sind nicht die einzigen Genüsse, die dieses faszinierende Land bietet. Ich habe gelernt, wie man einen klassischen Thanksgiving-Truthahn zubereitet und wie man Ahornsirup erntet. Ich feierte Weihnachten in einer jamaikanischen Familie, wo es alkoholfreies Ingwer-Bier und rum-getränkten Kuchen gab. Ich sah mein erstes Baseball-Spiel im Rogers-Stadion zu Füßen des CN-Tower, das ich nicht verstand, aber optisch sehr ansprechend fand. Ich sah die Niagara-Fälle im Februar, die zur Hälfte eingefroren waren und eisige Gischt spuckten. Im Haus meiner Freundin Susanne traf ich den Hollywood-Regisseur Norman Jewison. Beim Besuch in der Polizeischule durfte ich eine schusssichere Weste anprobieren. Ich lernte Kanadier kennen, die aus Indien, Bosnien oder Großbritannien stammen. Einige auch aus Deutschland. Ich stellte fest, dass Toronto und die Lausitz in einem ähnlich sind: Hier wie dort leben Menschen, die sich durch einen oft chaotischen Alltag schlagen. Die sich sorgen um Geld, den Job und die Zukunft des Planeten. Die aber trotzdem Freude finden an Begegnungen mit dem Unerwarteten.

Einen Token, der übrig war, hat ein sehr lieber Mensch für mich lochen lassen. Jetzt trage ich ihn an einer Kette.