Die Briten geben der Welt zurzeit kein würdevolles Bild ihrer selbst. Das unselige Endspiel um den Brexit, der ja für sich schon ein eigenartiges Stück Politik ist, lässt kaum den Eindruck zu, dass hier ein zurechnungsfähiges Volk handelt. Doch erinnern wir uns: Es gab Zeiten, da waren die Briten bekannt für gute Witze und lässige Weltherrschaft. Ländern, viel größer als ihre kleine Insel, drückten sie ihren Stempel auf. Das war „back in the days“, als exzentrische, planvolle Gestalten von England aus aufbrachen, um fern der Heimat Glück und Reichtum zu finden. Leute wie Henry Pellatt.
Der Sohn eines Börsenmaklers aus Kanada, Jahrgang 1859, war von Geburt Brite und Erfolgsmensch. Für seine militärischen Verdienste schlug ihn Königin Victoria zum Ritter. Später baute er Eisenbahnen und Wasserkraftwerke – und sich selbst damit ein gigantisches Vermögen. Damit das auch gesehen wurde, leistete er sich schließlich eine spektakuläre Immobilie in bester Lage. Im modernen Kanada erinnert sich kaum noch jemand an den Industriemagnaten Henry Pellatt. Aber man erinnert sich an den Verrückten, der das „Casa Loma“ gebaut hat, die prächtigste Investruine von ganz Toronto.
Das „Casa Loma“ ist ein kanadische Neuschwanstein – das größte Wohnhaus im ansonsten schlösserarmen Kanada. Es hat 100 Zimmer und eigentlich keinen Zweck. Gewohnt wurde darin nur kurz. Es ist zum Leben zu groß und zum Abreißen zu schön. Die Torontonen lieben das Casa Loma, das hochnäsig von dem Hügel herabschaut, auf den es Pellat kurz vor dem Ersten Weltkrieg bauen ließ.
Die Schönheit dieses Ungetüms ist relativ. Mit lauter Türmchen, Erkerchen, Zinnen und Gauben sieht das Casa Loma aus wie ein melodramatisches mittelalterliches Monument der Liebe. Das ist es auch. Pellatt baute es für seine Gattin und ging daran zugrunde. In den 20er Jahren war von seinem Reichtum nicht mehr viel übrig. Er hatte sich beim Schlossbau übernommen. Lord und Lady Pallett zogen aus und wohnten fortan bescheidener.
Von da an kamen nur noch wenige in den Genuss der Annehmlichkeiten von Casa Loma, namentlich drei Bowlingbahnen, zwei Geheimgänge und ein Ofen, groß genug um einen Ochsen darin zu braten.
Ein paar Jahre verbrachte Casa Loma als Luxushotel, jedoch glanzlos. Dann sprang die Stadt ein, kaufte den Kasten 1933 und machte ein Ausflugsziel daraus. Ich war mal dort, um bei einem „Escape Game“ mitzuspielen, einem dieser lustigen Mannschaftsspielchen, bei dem man gemeinsam den Weg durch den Geheimgang finden muss. Ich kann berichten: Wer da durchkommt, der schafft auch den Brexit.