Meine Freundin Susanne aus Toronto hat eine Ahorn-Farm in Ontario. Damit wären wir im Herzen kanadas und direkt am Stamm des Nationalbaums. Ahorn ist überall in diesem Land. Ein Ahornblatt in sattem Rot ziert die Nationalflagge. Ahornbäume bevölkern Kanadas Wälder. Die Bäume werden bis zu 40 Metern hoch und geben den Wäldern im Frühherbst den märchenhaften Anblick des Indian Summer, wenn Millionen Blätter sich gelb bis rot färben im milden Sonnenschein.

Das Beste aber kommt im Frühjahr. Dann geben die Bäume Ahornsirup ab, und der ist sowas wie die nationale Essenz. Die Deutschen haben Bier, die Italiener Wein, die Franzosen Schampus. Die Amis haben Öl und die Kanadier haben den geheimnisvollen süßen Ausfluss ihres liebsten Baumes.

Ahornsirup ist ein dicklich-süßer und goldfarbener Saft, der nach Natur und Wildnis schmeckt. Ahornsirup veredelt jeden faden Grießbrei und macht jede trockene Stulle zu einem Geschmackserlebnis. Touristen kaufen ihn literweise, weil er so sehr für dieses weite Land steht, meist in kleinen Flacons in Ahornblattform, die es in Flughafen-Shops gibt.

Wie schon früher an dieser Stelle erwähnt, hat Kanada keine typische einheimische Küche. Aber ein Schuss Ahornsirup macht alles andere kanadisch.

Nur wie kriegt man ihn aus dem Baum? Mit einer Menge Arbeit. Auf Susannes Ahornfarm ist im Frühjahr Hauptsaison. Dann reist die ganze weit verstreute Familie an, um bei der Ernte anzupacken. Das ist die Zeit, wenn die Bäume ihren Pflanzensaft aus den Wurzeln nach oben pumpen. Ein Baum muss 40 Jahre alt sein, damit man ihn ernten kann. Dazu wird ein Zapfhahn in die Rinde geschlagen und der Saft in einen Eimer geleitet. Gut 40 Liter Saft gibt ein Baum pro Jahr ab - das reicht für einen Liter Sirup. Susannes Familie hat 80 alte Bäume, die guten Saft geben.

Mitten im Wald steht dort eine Zuckerhütte, das ist ein Holzhäuschen, das der Herstellung des Sirups dient. Und das geht so: Der Saft wird gekocht in großen Kesseln, bis er sich zu dem goldfarbenen Sirup verdickt. Je heller die Farbe, desto besser die Qualität. Beim Kochen wird der Zucker karamellisiert, das macht das Endprodukt richtig lecker.

Natürlich geht das nicht mit einem normalen Ahornbaum. Es muss schon ein Zuckerahorn sein. Und er muss in Kanada stehen, sagen die Kanadier, sonst funktioniert das nicht.