Da ist man in einer fremden Stadt, auf einem fremden Kontinent – und wird eingeladen zu einem Familienfest. Gibt es Besseres, um Land und Leute kennenzulernen? Nein. Darum habe ich mich gefreut wie ein kleines Kind, als mich meine Kollegin Susanne neulich zum Thanksgiving-Dinner bat.

Das große amerikanische Erntedankfest hat auch in Kanada Tradition. Von Nova Scotia bis British Columbia, von Winnipeg bis Niagara Falls steigt am Thanksgiving-Wochenende das ganze Land in die Autos, um mit Verwandten Truthahn zu essen. Thanksgiving ist Weihnachten, Geburtstag und Nationalfeiertag in einem. Kanada feiert es immer am zweiten Montag im Oktober. Aber erst seit 1957, davor war es der dritte Montag im Oktober. Die USA machen es wieder anders, sie haben Thanksgiving am vierten Donnerstag im November.

Verwirrend, aber gemeint ist immer das Gleiche: Man feiert, dass die ersten Siedler vor 400 Jahren glücklich über den rauen Atlantik gesegelt kamen und die ersten Früchte ihrer Feldarbeit genießen konnten. Von daher steht das Essen im Vordergrund. Truthahn ist Pflicht, habe ich bei Susanne gelernt. Susannes Mutter war sehr erstaunt zu hören, dass wir in Deutschland keine solchen Riesenvögel braten. „Wie kriegt Ihr Eure Familien satt?“, wollte sie von mir wissen. Ich sagte, wir nehmen zwei Gänse, das reicht auch. Aber erst zu Weihnachten.

Zum Vogel gereicht werden Kartoffelbrei, Cranberry-Soße und allerlei vom Kürbis. Der Hausherr spricht ein Dankesgebet, der Opa spricht den Segen aus, dann wird gegessen. Als einziges Mitglied der deutschen Delegation an Susannes Tafel wurde ich allerlei gefragt, hauptsächlich nach Neuigkeiten aus der DDR. Der Schwiegersohn der Familie berichtete, wie er 1992 als Rucksacktourist im Trabant mitfuhr, von Weimar nach Erfurt auf Kopfsteinpflaster, mit „Top Speed“. Ihm tue noch heute der Hintern weh beim dran Denken. Susannes Mann, Kevin, der Kameramann ist, erzählte von den schönen alten Burgen in Thüringen und Sachsen. Denn dort war er 2003 mit einem Team unterwegs, um den Film „Luther“ zu drehen, der bei uns alle Jahre wieder am Reformationstag im Fernsehen läuft. Mich hat das natürlich schwer beeindruckt. Aber das Beste kam zum Nachtisch.

Da gab es nicht nur himmlischen Kürbiskuchen mit Schlagsahne. Ich erfuhr auch, dass der nette alte Herr mir gegenüber, der bis dahin nicht viel gesagt hatte, eine Weltberühmtheit ist. Norman Jewison, Susannes Schwiegervater, war der Regisseur von „Thomas Crown Affair“, von „Jesus Christ Superstar” und von „Mondsüchtig“, dem romantischsten Film aller Zeiten. Kaum zu fassen, ich aß mit ihm Truthahn.