„O Canada…“, so beginnt die Nationalhymne, die das Land zwischen Nova Scotia und Vancouver als „unser Zuhause und Heimatland“ feiert, in dem „wahre Patrioten“ mit „glühenden Herzen“ ständig „auf der Hut stehen“. Das klingt nicht ganz so grimmig wie die US-Hymne mit ihrem Sternenbanner, das durch „den roten Schein der Raketen“ scheint, wenn „Bomben in der Luft zerplatzen“. Deshalb mögen wir Kanada, es ist ein so offenes, freundliches und ordentliches Land. Irgendwie so, wie wir uns Deutschland wünschen.

Jedenfalls bis letzte Woche. Plötzlich steht Kanada international im Fokus. Es geht um Schmiergelder, ein arrogantes Großunternehmen und um die Frage, ob Premierminister Justin Trudeau seine Justizministerin bedrängt hat, in ein Gerichtsverfahren einzugreifen. Für den sonst so strahlenden 47-jährigen Premier ist das ein Super-Gau, denn er möchte im Oktober in eine zweite Amtszeit gewählt werden.

Die Einzelheiten dieser SNC-Lavalin-Affäre – benannt nach besagtem Unternehmen – gehen an der kanadischen Öffentlichkeit allerdings vorbei. Sie sind, wie es hier heißt, „too much inside baseball“, zu viel Baseball-Kleinklein. Das ist diese Sportart, deren Regeln kaum einer kapiert, was aber kein Problem ist, solange man mitjubelt, wenn alle jubeln. Grob zusammengefasst ist der Kern der Sache folgender:

Das Bauunternehmen SNC Lavalin aus Quebec steht vor Gericht, weil es in Libyen Schmiergeld gezahlt haben soll, um an Staatsaufträge zu kommen. Die Konzernleitung will eine außergerichtliche Einigung. Der Premier will eine solche Einigung, die Justizministerin Jody Wilson-Raybould dagegen will SNC Lavalin den Prozess machen. Es gab Gespräche zwischen beiden, Emails, Konferenzen, in denen er sie zu deutlich darauf hinwies, dass Jobs und Wahlen auf dem Spiel stehen. Schließlich versetzte er Wilson-Raybould und sie kündigte Anfang Februar ganz.

Daraus hat sich eine schweren Regierungskrise entwickelt. In kurzer Zeit hat der einstige Sunnyboy Trudeau das Vertrauen vieler Anhänger und Wähler verloren. Kommentatoren sehen Trudeau bereits inmitten eines „Bürgerkriegs“, den er vielleicht nicht überlebt. Nur noch ein Viertel der Kanadier an der Spitze.

Das bestätigt nun die, die den gutaussehenden Premier sowieso für unfähig halten. Wie US-Präsident Donald Trump, der Trudeau „sanftmütig und schwach“ nannte. Das war im letzten Sommer nach dem Treffen der G7-Regierungschefs in Quebec. Trudeau lächelte das lässig weg. Jetzt wird lächeln nicht mehr reichen.