Sobald man sich in Toronto als Deutsche vorstellt, kommt immer die Frage: Ist Frau Merkel wirklich zurückgetreten? Die Leute wollen das das aus echter Besorgnis, das sieht man in ihren Gesichtern. Erklärt man dann, dass die Bundeskanzlerin erstmal nur den Vorsitz der CDU abgibt, dann löst sich die Spannung. Angela Merkel hat viele Fans in diesem Land. Das verwundert nicht: Auch Kanadas Premierminister Justin Trudeau wird in Europa viel besser gefunden als zu Hause.

Deutschland genießt unter Kanadiern einen guten Leumund. Den meisten fällt irgendetwas zu Deutschland ein, das über Oktoberfest und Weihnachtsmarkt hinausgeht. Neulich trank ich Kaffee in der Kirche. Tatsächlich, denn die All Saints Anglican Church im York Village in Toronto, wo ich wohne, lädt nach der Sonntagsmesse zum Kaffeetisch. Als sich herausstellte, dass ich Deutsche bin, hatte ich gleich eine Traube von Menschen um mich. Alle wollten wissen, was jetzt mit Frau Merkel sei, denn man sei in Sorge um den Zustand der Welt, wenn sie wirklich gehen sollte. Ich konnte vorerst beruhigen.

Katie, die Chorleiterin, wollte mich umgehend anheuern für ihre Truppe, denn Deutsche könnten gut singen, sagte sie. So ist das, ethnischen Klischees kann man sich nicht entziehen. Paul, der Gemeindekustus, zeigte mir voll Stolz die Orgel in der erst 50 Jahre alten Kirche, denn Deutsche hätten ja Ahnung von Orgelpfeifen, wie er meinte. Diese Anspielung habe ich nicht verstanden, aber die Orgel ist wirklich eine schöne und ich durfte Register ziehen.

Kanadier schätzen Deutsche als Verbündete im Kampf gegen die Unvernunft in der Welt. Ein bisschen Weltpolitiker ist man schließlich als einzige Deutsche bei einem torontonischen Abendessen. Kanadier wissen, dass ihr Land nicht wirklich mächtig ist. Aber es hat einen guten Ruf, deshalb kommen sie mit anderen gut ins Gespräch. Besonders mit solchen, deren Regierungschefs sich gut benehmen und keine Gemeinheiten twittern, wie US-Präsident Donald Trump – das verbindet.

Viele Kanadier haben irgendeine Verbindung zu Deutschland. Entweder einen Opa in Bad Harzburg oder eine Tante in Heidelberg. Das Einwanderungsland Kanada wurde auch von Deutschen umfangreich bewandert. Noch heute ziehen jedes Jahr um die 1500 Deutsche nach Kanada. Von den insgesamt 36 Millionen Kanadiern hat jeder zehnte einen deutschen Migrationshintergrund.

Die Bewunderung der Kanadier für die Bundeskanzlerin drückt sich manchmal seltsam aus. Mein Kollege Matt hat seinem Golden Retriever den Namen Mrs. Merkel gegeben. Ich fragte ihn, ob er den Hund auch Mrs. Kramp-Karrenbauer nennen würde. Das konnte er sich nicht vorstellen.