Montagmorgen. Sechs Grad unter null. Gefühlte -11. „Es ist Winter, sehr winterlich“, sagt der Morgenmann im Radio. Bevor man die Augen richtig auf hat, ist man innerlich erfroren. Geschneit hat es nicht, also müssen die 60 Zentimeter überfrorene Kruste von gestern für heute reichen. Wind pfeift zwischen den Hochhäusern. Der Hund will nicht raus – muss aber.

Der kanadische Winter ist schön anzusehen, das darf ich mit voller Überzeugung sagen. Es gibt Schnee, den man in Deutschland nicht mehr kennt. Neulich morgens im Park stapfte ich durch eine knietiefe weiße Pracht. Das war ein traumhaftes Glitzern in der Sonne, dass die Augen fast schmerzten. Man hätte sich reinschmeißen wollen und Schneeengel spielen, wäre man nicht zu alt für solchen Schabernack.

Die Großstadt Toronto, die nicht viel weiter nördlich liegt als Hamburg, hat mit dem Schnee ihre liebe Not. Regelmäßig fallen die U-Bahnen aus, weil die offenen Schienen unter Schneemassen vergraben sind. Und dann die Kälte. Einheimische tragen matratzendicke Anoraks mit Pelzkapuzen, um sich durch schneesturmähnliche Zustände zu wühlen. Ohne die hier üblichen fellgefütterten Gummistiefel geht nichts. Ein Gang zum Supermarkt kann zum Abenteuer werden. Ich lasse mich gern darauf ein. Denn noch ist es nicht wirklich schlimm.

Der Winter hier kann -45 Grad erreichen, habe ich gehört. Letztes Jahr froren die Niagarafälle ein. Ein sagenhaftes Naturschauspiel war das, als die Wassermassen, die vom Eriesee in den Ontariosee stürzen, einfach erstarrten. Das sind zwei Millionen Liter Wasser in der Sekunde – sie wurden bei -25 Grad blitzschnell zu Eis.

Die Kanadier haben sich den Verhältnissen angepasst und ein originelles Fluchtverhalten entwickelt. Wer es sich leisten kann, verlässt das Land. Viele reiche Kanadier haben Ferienhäuser in Florida oder Kalifornien, wo sie den ganzen Winter verbringen. Oder zumindest Januar und Februar, denn dann wird es in den kanadischen Metropolen richtig ungemütlich. Die, die bleiben, „sitzen im Keller und jammern über die Kälte“, erzählte mir ein Freund aus Toronto.

Die schmutzige Kehrseite des Schnees ist der Schneematsch. Doch auch darin lässt sich etwas Gutes finden, wenn man lange genug hindurchgeschlurft ist. Wer nichts findet, schlage bei Marshall McLuhan nach. D der kanadische Medienphilosoph sagte: „Matsch gibt uns manchmal die Illusion von Tiefe.“